40 Jahre seines Lebens verbrachte Jan-Henning Himborn in Norddeutschland. Geboren und aufgewachsen in Bargfeld-Stegen im Kreis Stormarn in Schleswig-Holstein, war er als aktiver Handballer für den Bargfelder SV, die HSG Sasel/DuWo, den TSV Ellerbek, DHK Flensborg, die SG Bramstedt/Henstedt-Ulzburg sowie den TuS Esingen am Ball. Bei den Esingern, einem Klub aus Tornesch im Kreis Pinneberg, war er anschließend Trainer mehrerer Teams und ab 2009 auch Sportlicher Leiter, ehe er im September 2017 zum SV Union Halle-Neustadt ging.
An der Saale übernahm der diplomierte Sportwisssenschaftler zunächst die Aufgaben des Sportlichen Leiters und des Geschäftsstellenleiters, ehe er auch Coach der Ersten Frauen wurde, mit denen er aktuell in der Ersten Bundesliga um den Klassenerhalt kämpft. Der 43-Jährige nahm sich Zeit für ein Interview, in dem er auf seine bisherige Zeit in Sachsen-Anhalt zurückblickt, den Weg zum Ligaverbleib umreißt und erklärt, weshalb er sich im Sommer wieder von der Trainerbank verabschieden möchte ...
Unser Handball: Haben Sie sich als „Nordlicht“ in den letzten drei Jahren gut in Halle an der Saale eingelebt?
Jan-Henning Himborn: „Ja, ich fühle mich hier sehr wohl. Das liegt vor allem daran, dass ich in der Geschäftsstelle sehr gute Mitarbeiter habe und mir auch die Arbeit mit dem Team große Freude bereitet. Außerdem ist es bei mir so, dass ich, wenn ich mich für eine Aufgabe entscheide, dann auch hundert Prozent gebe und lange bei einem Verein bleibe. Beim TuS Esingen war ich zehn Jahre – insofern ist es für mich nicht verwunderlich, dass ich nun bei Halle-Neustadt in meiner vierten Spielzeit bin.
Nichtsdestotrotz fahre ich natürlich auch gerne in meine Heimat, um meine Eltern, meine Geschwister oder Freunde zu besuchen. Und glücklicherweise lebe ich ja in Halle auch nicht am Ende der Welt: Dank der hervorragenden Infrastruktur – ich spreche gerne von der ‚Metropolregion Mitteldeutschland‘, weil dank der Autobahnen die Wege nach Berlin, Dresden, Hannover, Kassel sowie Süddeutschland sehr kurz sind – fahre ich meistens nur dreieinhalb Stunden, um meine Eltern in Bargfeld-Stegen zu besuchen.“
Unser Handball: Zunächst haben Sie in Halle die Aufgaben des Sportlichen Leiters und des Geschäftsstellenleiters übernommen. Wie kam es dazu, dass Sie nun schon zum zweiten Mal auf der Trainerbank sitzen?
Himborn: „In der Tat war ich zunächst für die sportliche Leitung und die Leitung der Geschäftsstelle verantwortlich. Als dann für das Junior-Team (Anmerkung der Redaktion: Die Zweiten Frauen) in der Oberliga ein Trainer gesucht wurde, habe ich diese Aufgabe zusätzlich übernommen. Als im Herbst 2017 der damalige Chefcoach Jörgen Clüver erkrankt ist, hat zunächst Co-Trainerin Bianka Eckhardt das Team betreut; da ihr die nötige Lizenz fehlte, durfte sie aber offiziell nur sieben Spiele lang die Verantwortung tragen. Daraufhin habe ich sie mit dem Beginn des Jahres 2018 unterstützt, allerdings eher die Rolle des Co-Trainers beziehungsweise die des Beraters eingenommen, als wir den Bundesliga-Aufstieg geschafft haben. Parallel dazu haben wir mit dem Junior-Team die Oberliga gehalten.
In der Saison 2018/2019 hat Tanja Logvin die ersten Frauen übernommen und ich habe weiterhin das Junior-Team betreut, mit dem wir in die Dritte Liga aufgestiegen sind. Leider wurde der Klassenerhalt in der Ersten Liga verpasst, aber Logvin ist auch in der Zweiten Liga geblieben. Nach dem ersten Corona-Lockdown standen wir zwar als sofortiger Wiederaufsteiger in die Erste Liga fest, aber Logvin hat sich nach Neckarsulm verabschiedet. Die Suche nach einem neuen Coach gestaltete sich als schwierig. Christian Denk wurde schließlich verpflichtet, vom Präsidium aber bereits Anfang September wieder freigestellt. Daraufhin war es naheliegend, dass ich das Team übernehme – deshalb habe ich nun wieder die Doppelfunktion inne, die ich eigentlich nicht mehr ausüben wollte ...“
Unser Handball: ... bleibt Ihnen denn bei den zahlreichen Aufgabenfeldern überhaupt noch Freizeit?
Himborn: „Das ist zugegebenermaßen schwierig. Das größte Problem ist dabei nicht der Zeitfaktor, sondern der Kopf: Ich bin einfach zu stark in allen Dingen involviert. In dieser Woche war es so, dass wir am Sonnabend beim Thüringer HC gespielt haben. Normalerweise versuche ich, mir montags frei zu nehmen – das ging jetzt aber nicht wegen den anstehenden Corona-Testungen. Außerdem gehe ich gedanklich immer die Spiele noch einmal durch: Was haben wir gut gemacht, wo gibt es Verbesserungsbedarf? Auch, wenn wir erst abends spät oder nachts von einer Auswärtspartie wiederkommen, ist das immer noch im Kopf. Und die aktuelle Saison ist aufgrund der erhöhten Anzahl an Spielen ohnehin noch stressiger. Fakt ist: Ich möchte mich ab dem Sommer gerne auf eine der beiden Aufgaben festlegen und beschränken.“
Unser Handball: Worauf liegt dabei Ihr Hauptaugenmerk: Möchten Sie zukünftig lieber als Trainer oder als Sportlicher Leiter arbeiten?
Himborn: „Im Vordergrund steht immer das Wohl des Vereins und die Klärung der Frage, was für den Klub die beste Lösung ist. Mein Ziel ist es eigentlich, einen guten, neuen Trainer für die Ersten Frauen zu finden. Ich würde mich dann wieder auf die Rolle des Sportlichen Leiters und des Geschäftsstellenleiters konzentrieren. Das ist mein Wunsch – auch, um weniger Stress zu haben. Schon beim TuS Esingen war es so, dass ich zumeist zwei, drei Teams parallel trainiert habe und deshalb fast nie ein Wochenende frei hatte, sondern es für immer die Verpflichtung gab, präsent zu sein. Dagegen kann ich mir als Geschäftsstellenleiter oder Sportlicher Leiter meine Termine auch mal so legen, dass ich ein freies Wochenende habe.
Mein eigentliches Vorhaben, als Trainer kürzer zu treten, hat sich allerdings, seitdem ich bei Halle-Neustadt bin, nicht wirklich in die Tat umsetzen lassen. Seitdem ich hier bin, trainiere ich Teams, zwischendurch beispielsweise auch einmal die B-Jugend. Es wäre schön, wenn da zukünftig ein geregelteres Arbeitsfeld geschaffen werden würde – denn ansonsten bleibt einfach vieles von dem, was ich auf dem Schreibtisch habe, liegen, weil ich nicht alles bewerkstelligen kann. Ich habe zwar auf der Geschäftsstelle eine hervorragende Kollegin, die mir einige Dinge abnimmt, damit ich mehr Freiheiten für den Cheftrainerposten habe – aber sie hätte auch ohne diese Hilfestellung selbst schon genug zu tun ...“
Unser Handball: Wie schätzen Sie die Perspektive ein, anders als 2019 den Klassenerhalt zu schaffen, gerade auch in Bezug auf den vermehrten Abstieg wegen der im Vorjahr vorgenommenen Ligen-Aufstockung?
Himborn: „Wir haben aktuell mit 10:12-Zählern ein fast ausgeglichenes Punktekonto und stehen auf dem zwölften Platz, der am Saisonende den sicheren Ligaverbleib bedeuten würde. Wir haben in der Hinrunde noch vier Partien zu absolvieren, in denen ich gerne mindestens noch ein beziehungsweise sogar zwei Punkte holen würde, um dann mit elf oder zwölf Zählern in die zweite Halbserie gehen zu können. Meine Rechnung sieht so aus, dass 20 Punkte vonnöten sind, um die Klasse zu halten. Wir wissen, dass dies kein leichtes Unterfangen wird, zumal beispielsweise auch bei den Handball-Luchsen Buchholz 08-Rosengarten eine hervorragende Arbeit geleistet wird.
Ich kämpfe da auch ein bisschen gegen eine überzogene Erwartungshaltung an: Als wir im Herbst mit 9:7-Zählern ein positives Punktekonto hatten, wurde mancherorts schon von Höherem geträumt. Aber die Trauben, den Klassenerhalt zu schaffen, hängen sehr hoch. Wir stehen im unteren Mittelfeld der Tabelle und müssen uns jeden Punkt hart erkämpfen. Wir können auch so starke Gegnerinnen wie Neckarsulm oder den Buxtehuder SV schlagen beziehungsweise vor richtige Probleme stellen – aber das bekommen wir nicht immer hin. Bei uns darf, beispielsweise was Verletzungen von Leistungsträgerinnen angeht, nicht viel passieren. Wir sind ein Team, das zwar nicht allzu viele Tore wirft, dafür aber eine gute Verteidigung hat. Und wenn zwei, drei Spielerinnen ihr Leistungsvermögen nicht abrufen können, haben wir ein Problem: Wir müssen immer ans Limit gehen, um zu punkten.“
Unser Handball: Das gelang im ersten Spiel des neuen Jahres nicht: Fürchten Sie „Nachwehen“ der heftigen 17:34-Niederlage beim Thüringer HC?
Himborn: „Natürlich ist es nicht schön, so hoch zu verlieren. Aber hierbei gilt es zu bedenken, dass wir nur drei Tage zuvor eine bis zum Ende sehr emotionale, enge Partie gegen die HSG Blomberg-Lippe (Anmerkung der Redaktion: Hier gab es ein 23:23-Unentschieden) hatten, während die THC-Spielerinnen ausgeruht in das Derby gegangen sind und ihre hundertprozentige Aufmerksamkeit der Vorbereitung auf das Duell mit uns widmen konnten. Dann sind wir relativ schnell mit 0:6 in Rückstand geraten und haben uns nicht nur viele technische Fehler, sondern auch zahlreiche Fehlwürfe geleistet: Wir haben wiederholt den Pfosten getroffen und auch Siebenmeter vergeben. Deshalb gab es gegen den Thüringer HC, dessen Spielerinnen nur so vor Selbstvertrauen strotzten, leider ein sehr klares Ergebnis, das wir bei einer besseren Leistung zumindest annehmbarer hätten gestalten können.“
Unser Handball: Mit welchen Gefühlen blicken Sie den nächsten Aufgaben entgegen?
Himborn: „Am Mittwoch, 6. Januar, wartet auf uns mit dem Gastspiel bei Borussia Dortmund eine Hürde, die ähnlich brutal schwer ist wie die gegen den Thüringer HC. Die Dortmunderinnen haben ein exzellent besetztes Team und werden meiner Meinung nach in dieser Saison Deutscher Meister. Für uns fängt das neue Jahr erst danach so richtig an, wenn wir bei der HSG Bensheim/Auerbach gastieren und anschließend zum Hinrunden-Ausklang den TuS Metzingen empfangen. Fakt ist: Wir werden alles daran setzen, den zwölften Platz, den wir zum Erreichen des Klassenerhalts benötigen, zu verteidigen und auch am Saisonende zu belegen.“
Unser Handball: Fehlt Ihren Spielerinnen die Unterstützung von den Zuschauerrängen?
Himborn: „Definitiv. Wir sind ein Team, das die Anfeuerungen der Anhängerschaft braucht, das von den Emotionen in der Halle lebt. Das hat uns in der Vergangenheit immer einen Adrenalinschub verpasst und geholfen, gute Leistungen abzurufen. Selbst, als wir zu Beginn der aktuellen Saison immerhin 150 oder 200 Zuschauer in die Halle lassen durften, war das etwas ganz Anderes als jetzt, wo gar keine Besucher mehr zugelassen sind. Ich erinnere mich noch an unser erstes Geisterspiel gegen die HSG Bad Wildungen: Mit diesen ungewohnten Bedingungen mussten alle Beteiligten erst einmal zurechtkommen. Und dass es gerade für einen Aufsteiger doppelt schwer ist, sich ohne Fans im Rücken in einer neuen Liga zu etablieren, ist unstrittig. Hinzu kommen noch die finanziellen Folgen, unter denen natürlich alle Vereine sehr leiden.“
Unser Handball: Wie erleben Sie die ständigen Corona-Testungen?
Himborn: „Man kann sich an alles gewöhnen. Der allererste Test war der schwerste, weil damals auch noch niemand wusste, wie das Ganze vonstattengeht. Wir haben da aber schnell eine Routine entwickelt und sind im Verein ebenso wie innerhalb des Teams sehr diszipliniert. Wir lassen uns turnusmäßig vor jedem Spiel testen. Zusätzlich haben wir vor Weihnachten einen Test gemacht. Dann gab es einen Test vor der Partie gegen Blomberg-Lippe und am Neujahrstag haben wir noch einmal einen Schnelltest absolviert, weil wir dort in der Kürze der Zeit vor dem Spiel beim Thüringer HC für einen PCR-Test kein Ergebnis mehr bekommen hätten. Am Montag stand wieder ein PCR-Test an und am Donnerstag, 7. Januar, wird im Vorfeld der sonntäglichen Begegnung bei Bensheim/Auerbach schon die nächste Testung durchgeführt. Bisher hatten wir glücklicherweise noch kein einziges positives Test-Ergebnis – aber die Einschläge kommen näher, was auch daran liegt, dass einige unserer Spielerinnen in der Schule oder in der Kita arbeiten.“
Unser Handball: Sind Sie auch froh, dass die Frauen von Halle-Neustadt als Erstligist das Privileg genießen, überhaupt noch spielen zu dürfen?
Himborn: „Natürlich ist es für uns aktuell besser als im Frühjahr 2020, als ja der komplette Handball stillgelegt worden war. Was mich aber nachdenklich macht und stört, ist der Umstand, dass viele Politiker immer nur mahnen sowie Verbote aussprechen, aber keine Lösungen aufzeigen, beispielsweise was die zukünftige Vorgehensweise beim Schulunterricht angeht. Abgesehen vom Lockdown und der Schulschließung kam hier kein Vorschlag – und der Lockdown hat die Ausbreitung des Virus meiner Meinung nach vielleicht sogar noch beflügelt, weil keine Kontrolle mehr möglich ist, wer sich mit wem unter welchen Voraussetzungen trifft. Im Restaurant haben sich alle Menschen unter Einhaltung der Abstandsregeln, mit Desinfektionsmitteln und abseits ihres Tisches auch mit Masken getroffen. Die Jugendlichen haben, ebenfalls unter Einhaltung eines Hygiene-Konzepts, Sport im Verein getrieben.
Jetzt, wo all das verboten worden ist, treffen sich nun vielleicht fünf junge Menschen unter Missachtung des Kontaktverbots in einem Zwölf-Quadratmeter-Raum, bestellen sich Pizza und spielen Playstation – ist das wirklich besser? Außerdem tun mir die vielen Restaurantbesitzer und Vereinsverantwortlichen leid, die gute Hygienekonzepte erarbeitet haben, die sie dann aber nach wenigen Wochen in den Papierkorb werfen mussten. Vor allem die kleinen Klubs leiden ohne Frage sehr unter dem kompletten Verbot des Amateur- und Freizeitsports und für die Jugendlichen ist es eine Katastrophe, dass sie nicht einmal trainieren dürfen.“
Unser Handball: Glauben Sie, dass die zweiten Frauen von Halle-Neustadt in der Dritten Liga, die Teams Ihres Ex-Vereins TuS Esingen in der Hamburg-Liga und alle anderen Amateur-Mannschaften in dieser Saison den Spielbetrieb noch einmal aufnehmen können?
Himborn: „In der Dritten Liga könnte es eventuell noch annehmbare Lösungen geben – aber im Amateur-Bereich gehe ich stark davon aus, dass die Saison 2020/2021 nicht mehr regulär beendet werden beziehungsweise überhaupt kein Spielbetrieb mehr stattfinden kann. Vielleicht ist es im Frühjahr bei sinkenden Corona-Fallzahlen zumindest möglich, Trainingsspiele zuzulassen, damit die Teams nach einer Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs nicht nur Übungseinheiten absolvieren, sondern sich auch untereinander messen können. Aber vor dem März wird da sicher nichts passieren und dann sollten sich die Verantwortlichen der Landesverbände meiner Meinung nach darauf fokussieren, für ihre Mannschaften einen Neustart im August oder September 2021 in die Spielzeit 2021/2022 zu ermöglichen – und zwar in den Spielklassen, in denen die Teams schon für die aktuelle Serie eingeteilt worden waren.“
Interview: Johannes Speckner
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